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Der Krieg kommt nach Belzig

I

Die Hauptnachricht im Zauch-Belziger Kreisblatt vom 30. Juni 1914 war der Besuch des Kaisers bei den Feierlichkeiten zum 50jährigen Jubiläum des Krieges gegen Dänemark 1864. Das Blatt berichtete auch ausführlich vom Ausbruch vier Gefangener am 28. Juni aus dem Amtsgerichtsgefängnis in der Burg Eisenhardt. Und auf Seite 2 wurde auch von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers und seiner Frau in Sarajewo berichtet.

"Verbrecherischer Wahnsinn hat gestern eine Gräueltat verübt, die überall in der gesitteten Welt Abscheu und Mitleid erregt.“

Das Attentat war, wie wir heute wissen, der Funken, der das Flächenbrand des Ersten Weltkrieges entzündete. In der Zeitung, die in jener Zeit praktisch die einzige Quelle für Information über die weite Welt darstellte, war von Kriegsgefahr keine Rede.

Die Menschen des Kreises Zauch-Belzig konnten weiterhin den schönen Sommer genießen und ihrer Arbeit nachgehen. Erst am Dienstag, dem 7. Juli wurde der Vorfall in Sarajewo wieder erwähnt, als von der Beisetzung des Erzherzogs und seiner Frau berichtet wurde. Der deutsche Kaiser nahm daran nicht teil. Er gedachte, seine jährliche Nordlandreise anzutreten. Auch Reichskanzler Bettmann-Hollweg befand sich im Urlaub. In Belzig hatte am Wochenende das Schützenfest stattgefunden. Der Mangel an Schaubuden wurde bemängelt: „ außer dem Hunde- und Affentheater, wirklich nichts Bedeutendes auf dem Platze stand." Insbesondere wurde „das Kinotheater“ vermisst.

Von Ausgabe zur Ausgabe nahm aber der Schatten des kommenden Krieges einen immer größeren Platz in der Berichterstattung ein. Der Kaiser befand sich auf seiner Nordlandreise, aber von „Kriegsspannung zwischen Österreich und Serbien“ war am 16. die Rede und von neuen Rüstungsausgaben in Frankreich. Am 18. berichtete das Kreisblatt von der Reise des französischen Ministerpräsidenten Poincaré nach Russland.

Am 21. Juli wurde im amtlichen Teil bekannt gegeben, daß der Ankauf „volljähriger Truppendienstpferde“ im Regierungsbezirk Potsdam beginnen sollte, in Belzig am 9. Oktober um 10 Uhr. In derselben Ausgabe wurde neben des schlechten Verlaufs des Belziger Ferkelmarktes von der österreichischen Note an Serbien berichtet.

Zum ersten Mal wurde am 28. Juli auf Seite 1 über die Spannungen zwischen Österreich und Serbien berichtet und die Berichte füllen auch drei Viertel von Seite 2. Am 30. Juli wurde von der Mobilmachung Serbiens so wie der österreichischen Kriegserklärung gegen Serbien berichtet. Am 1. August erfährt der Leser des Kreisblattes, dass Russland die Mobilmachung angeordnet hat und dass der deutsche Kaiser, nachdem der sein Residenz von Potsdam nach Berlin verlegt hatte, den „Zustand des drohenden Kriegsgefahr“ befohlen hatte.

Was erst gar nicht und dann als schleichende Gefahr wahrgenommen wurde, war plötzlich da: Deutschland war im Krieg. Um 19Uhr am 1. August hatte die Nachricht des Kriegsausbruchs Belzig erreicht. Die Kirchenglocken hatten geläutet und es der Bevölkerung verkündet.

II

Mit der Ausgabe vom 4. August 1914 beherrschte der Krieg das Zauch-Belziger Kreisblatt und nahm das Leben der Kreisbewohner völlig in Anspruch. Die amtlichen Bekanntmachungen durch den Königlichen Landrat Tschirschky füllten anderthalb Seiten. Der Landrat wendete sich „an den patriotischen Sinn der Wehrbeitragspflichtigen und fordere sie auf, schon jetzt den Wehrbeitrag für 1914, auch wenn er noch nicht fällig ist, an die Gemeindekassen zu zahlen, damit das Deutsche Reich möglichst bald in den Besitz des Wehrbeitrags gelangt.“

Damit schnell geheiratet werden konnte wurden einberufene Wehrpflichtige von dem standesamtlichen Aufgebot befreit. Das Gleiche galt für alle österreich-ungarische Staatsbürger, die zur Armee eingezogen wurden.

Der kommandierende General des III. Armeekorps, Oberbefehlshaber in den Marken, wurde ermächtigt „innerhalb des ihm zugeteilten Bezirks allen Zivilverwaltungs- und Gemeindebehörden erforderlichenfalls unmittelbar Befehle und Weisungen zugehen zu lassen. Die in Frage kommenden Behörden ersuche ich, derartigen Befehle und Weisungen sogleich Folge zu leisten.“

Auf Grund des Kriegszustandes wurde auch der Postverkehr zu Gebieten nahe der französischen Grenze eingeschränkt. Der Postverkehr zwischen Deutschland und Frankreich bzw. Russland wurde völlig eingestellt.

Das Proviantsamt Brandenburg gab die Bedingungen für die Abnahme von Naturalien bekannt:

„Es sei vorweg bemerkt: eine Lebensmittelnot wird nicht eintreten. Die vorjährige reiche Ernte hat die Bestände der Heeresverwaltung in reicher Weise aufgefüllt, der Schlachtvieh-Bestand [sic] ist nie so hoch gewesen wie jetzt, die Ernte steht vor der Tür und wird, den fleißige Hände sind genügend da, bis auf den letzten Halm eingebracht. Dringend sei gewarnt vor dem Massen-Einkauf von Lebensmitteln aller Art, wie er dieser Tage in Berlin zu beobachten war. Um Kaffee, Zucker, Tee, Kartoffeln, Mehl, etc. wurde buchstäblich gekämpft, die Leute standen bis auf die Straße hinaus vor den Läden. Dieser Massen-Aufkauf war das Dümmste, was das Publikum tun könnte: denn die Preise schnellten nun ganz von selbst in die Höhe, denn auch der Kaufmann wollte sein Lager nicht in zwei, drei Tagen geräumt haben.“

Um die Eingezogenen zu ersetzen boten sich die Wandervögel als Erntehelfer an. Alle „nicht waffenfähige“ würden Landarbeit „am freudigsten“ tun. „Das ist Kriegsdienst,“ hieß es, „auch für die nicht Waffenfähigen.“

Der 5.August wurde in Preußen zum Buß- und Bettag bestimmt. In Belzig war der Gottesdienst um 21Uhr gut besucht. Eine Woche später fand eine Kriegsbetstunde statt, die zu einer festen Einrichtung wurde.

III

Die Unsicherheit der ersten Kriegstage druckte sich dadurch aus, dass manche es ablehnten Reichsbanknoten als Zahlungsmittel zu akzeptieren. Es kam auch zu überstürzten Abhebungen von Spargeldern von den öffentlichen Sparkassen, wohl aus Angst, der Staat könnte das Geld zum Kriegszwecken beschlagnahmen.

Der radikalste Ausdruck der Unsicherheit aber war die folgende Bekanntmachung des Landrats:

„Zuverlässige Nachrichten zufolge bereisen französische und russische Offiziere und Agenten sowohl zu Land wie auch in Flugzeugen unser Land, um Brücken und Eisenbahnen zu zerstören. Es ist daher erforderlich, daß neben den amtlichen Organen das Publikum aus patriotischem Pflichtgefühl heraus an der Ermittelung und Festnahme solcher Personen tätigen Anteil nimmt.

Ich fordere auf, jede verdächtige Person dieser Art sogleich festzunehmen und dem nächsten Amtsgericht bzw. der Ortspolizeibehörde zuzuführen.“

Das öffnete Tür und Tor für falsche Verdächtigungen und Missbrauch.

Aus Mitgliedern der Krieger- und Turnvereinen sowie der Schützengilde wurde ein Wachdienst zur Bewachung der Bahn eingerichtet. Bis zum 13. September bewachten diese Freiwilligen 24 Stunden am Tag Brücken und Bahnübergänge. Danach versah die 3. Kompagnie des Landsturmbataillons aus Ruppin diesen Dienst.

Es verbreitete sich das Gerücht, französische Autos fuhren durch Deutschland, um Gold nach Russland zu transportieren. Übereifrige schossen auf „verdächtige“ Autos und sogar auf Flugzeuge bevor dieses strengstens verboten wurde.

In Belzig wie anderswo wurden Fremde als Spione verhaftet. Sie mußten später mit einer Entschuldigung entlassen werden. Rektor Paul Quade berichtete: „Ängstliche Leute machten die Polizei auf Einwohner aufmerksam, die sich durch ihre Lebensweise verdächtig gemacht haben sollten, im feindlichen Kundschafterdienste zu stehen. Es waren aber ganz harmlose Menschen. Die Behörde warnte ernstlich davor, die Amerikaner mit den Engländern zu verwechseln und bat, ihnen mit der größten Höflichkeit zu begegnen. Wahrscheinlich waren aber nicht wenige Amerikaner so arge Spione wie die englischen.“

Unter der Überschrift „Alle, wie ein Mann auf die Schanzen!“ schrieb ein „H. St.“:

„'Es ist eine Lust in diesem Jahrhundert zu leben,' das rief einst Ulrich von Hutten aus. Auch wir können jetzt ähnliches von uns sagen. Es ist eine Lust und eine Freude zu sehen, wie sich auf einmal ganz Deutschland erhebt, um eine tiefe Schmach von sich abzulehnen...“

„Wie der Krieg eine reinigende und befreiende Wirkung hat, wenn er für eine gerechte Sache geführt wird, so hat er auch eine ausgleichende, sowie er einem Volke bevorsteht. Das deutsche Volk ist jetzt eine große Familie geworden...

„Wir haben wieder etwas, um das wir uns scharen können, und das ist das Bewusstsein, dass alle wie ein Mann auf die Schanzen eilen müssen, und das Reich in seiner alten Herrlichkeit zu erhalten und neue Ruhmesreiser zu den alten zu erringen.“

Die Tuppenzüge nach Westen hatten Aufenthalt in Belzig. Jeder, der sich freimachen konnte, ging zum Bahnhof, um die Züge zu besichtigen. Rektor Quade erinnerte sich: „Es war auch eine Freude, die frischen jungen Männer anzuschauen, die unter Scherzen und fröhlichen Gesängen den Feindenentgegengezogen.“

An den Waggontüren konnte man Sprüche lesen, die dem Geist der Zeit entsprachen. Rector Quade beschrieb sie als „ lustige Inschriften “.

-„Russischer Kaviar, französischer Sekt und deutsche Hiebe - ei wie das schmeckt!“

-„Franzosen, Russen, Serben, alle müßt ihr sterben, Deutschland wird alles erben.“

-„Nikolaus, Nikolaus, wir brechen dir die Zähne aus. jeder Schuß ein Russ“

Der Vaterländische Frauenverein rief dazu auf, Geld zu spenden, um den durchreisenden Soldaten Speis und Trank anbieten zu können. An einem einzigen Tag kamen 1000 Mark zusammen. Mit Hilfe der Stadt wurde am Bahnhof eine Feldküche gebaut, die Tag und Nacht von Mitgliedern der Sanitätskolonne und andere Belziger Bürger besetzt war, um den Truppen Erfrischungen zu niedrigen Preisen anzubieten.

 

 

 

 

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